TV-Kritik  06 10 2012  "Wetten, dass..?" mit Markus Lanz


Am ZDF lag es nicht.

Selbst in den "heute"-Nachrichten, wo nur die großen Katastrophen  gemeldet werden, kündigte man "Wetten, dass..?" als Fernsehereignis des Jahres an.

Danach folgte sogar ein gut gemeintes Warm-up - geschlagene 45 Minuten lang -

in dem Moderatoren, die der Sender bisher erfolgreich versteckt hielt, so unkomisch agierten, dass selbst ein taubstummer Albaner anschließend witzig rübergekommen wäre.

Doch der Moderator selbst benötigte keine Hilfestellung. 

Mit dem Thema Nasenhaare legte er die Messlatte auf schwindelnde Höhe.

Manch einen verfolgte das verstörenden Bild - wie sich Rolando Villazón und Plácido Domingo gegenseitig die Nasenhaare schneiden - bis in seine Albträume.

Was konnte jetzt noch schief gehen?  Vieles!

Aber man sollte das viele Schöne sehen.

Es wurden keine Gummibärchen gereicht. Geworben wurde nur für Autos, Filme, CDs, Politiker, Fußballvereine und Tourneen. Die Hunziker-Ersatz-Moderatorin, Cindy aus Marzahn, musste sich nicht den Vorwurf der Bulimie gefallen lassen.

Die Sendung kommt nur einmal im Monat.

Die sorgsam geplanten Sommer-Wetten im Oktober heizten ein.

Das Ganze nähert sich dem beliebten RTL-Format "Tutti Frutti" - man verstand die Spielregeln nicht, aber es gab viele Nackte.

Die Wetten waren niedlich wie nie: Eine Hunde-Friseurin erkannte an toten Haaren lebende Hunde. Das nächste Mal will sie sich von zwölf Hunden beissen lassen und sagen, welcher Zahnstein hat.

Die immer wieder originelle Traktor-Wette scheiterte nur daran, dass man die Schneeketten vergessen hatte. Und ein zehnjähriger Autist, der S-Bahn-Fahrpläne kennt, bekam zur Strafe eine Schaffner-Uniform. Um den Jungen sollte man sich kümmern.

Die Geheimhaltung vor der Sendung funktionierte perfekt.

Selbst Markus Lanz wurde von der Regie mehrfach überrascht. Sicher wäre er bei den Proben gerne dabei gewesen, aber er moderiert derzeit alle ZDF-Programme außer der Wetterkarte.

Es gab auch eine Anleihe bei Stefan Raab - "Schlag den Lanz". Sie wird eventuell zu Einbußen bei der Bier-Werbung führen - schlappe Liegestützen mit einem Kasten Bier - wer den Wink nicht verstand...

Beim nächsten Mal kann Lanz versuchen, nach zwei Kästen Bier eine Kuh zu stemmen. Dann hat er endgültig nur noch weibliche Zuschauer vom Lande.

Aber zum Positiven.

Die Gäste wurden von der Lustlosigkeit des Moderators förmlich mitgerissen.

Optisch interessant war Sylvie van der Vaart. Sie trug etwas, wofür es in Deutschland noch keinen Namen, aber zumindest eine Käuferin gibt. Ihr fußballernder Mann war sichtlich erleichtert, dass sie den Fummel von ihrem eigenen Geld gekauft hat.

Hannelore Kraft nutzte die Gelegenheit, um eindrucksvoll zu demonstrieren, dass bei ihr zuhause ihr Mann höchstens die Strumpfhosen anhat.

Das einzig Lebendige war das schwarze Gerippe aus Paris.

Lagerfeld hatte statt der rosa die blauen Pillen eingeworfen - blieb aber weitgehend unauffällig.

Die Show-Acts waren weitgehend überregional. Man kannte sie außer in Düsseldorf auch noch in Mettmann.

Die Künstler hatten sich sicherheitshalber maskiert.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Programmgestaltung selbst für Schwerhörige in Murkswedel als mutig bezeichnet werden muss.

Ausnahme: Jennifer Lopez. Sie blieb aber nur wenige Minuten - länger hätte selbst das reiche ZDF ihre Qualen nicht entgelten können. Aus dem Show-Mekka USA kommend, muss es für sie eine Zeitreise in die 50-er gewesen sein.


Beim Zwiebelschneiden heute morgen, als mir ungehemmt die Tränen kamen, überlegte ich, wie Gottschalk wohl die Sendung gemacht hätte.

Aber so darf man nicht denken.

Das ist wie das Umrechnen von Euro in D-Mark.

Gottschalk war noch D-Mark, und jetzt haben wir den Euro.

Ma kann nicht behaupten, den wollte keiner. 13,6 Millionen Zuschauer haben das ZDF eingeschaltet. Der ZDF-Wert halbiert sich im Laufe der nächsten Monate. Wie bei Gottschalk in der ARD. Als auch der eine Sendung machte, die er nicht konnte.

© Achim Krausz


15 09 2012

Ein gemütlicher Fernsehabend in Deutschland.

Das Erste (ARD) zeigt eine schlafraubende Vision. Eine Eurovision des Musikanten-Stadls. Das klingt nicht nur gefährlich nach Song Contest, es ist ungleich grausamer. Ein 52-jähriger Wiener namens Adolf ( nunja, die Österreicher sind halt Nostalgiker) Meyer - Deckname Andy Borg, mit der Lizenz zum Gähnen - präsentiert den Klatsch des Monats. Nein, keine Gerüchte, sondern ein Publikum, das sich für musikalisch hält, wenn es beide Handinnenflächen in sehr eigenwilligem Rhythmus ineinander patscht. Dazu angestiftet werden sie durch das Singpersonal, das verzweifelt versucht, die Lippen zeitgleich zum Playback zu öffnen und nie zu schließen, denn sonst könnten sie die Jacketkronen nicht von der Steuer absetzen.

Dazu marschieren Polizei-Kapellen, die akustisch die Blechschäden der letzten Tage aufleben lassen, völlig verkehrswidrig im Saal herum, weil man die Ampeln vergessen hat.

Manchmal marschieren auch die Spielleute der Feuerwehr. Bei ihrem Anblick freuen wir uns, dass wir so selten Waldbrände haben.

Die männlichen und weiblichen Tonhersteller erscheinen zwangsläufig in Trachtenjacken, wobei Zwangsjacken keine Niedertracht wären - angesichts der Texte, die Kühe vorzeitig kalben lassen, und daher nicht dort gesungen werden dürfen, wo sie angeblich herkommen - auf der Alm.

Verbaler Höhepunkt, wenn der Moderator hilflos stammelt, dass sie aus ihrer niederbayrischen Heimat Niederbayern stammen.

Aber Andy Borg kann das nicht den Hals brechen - mangels eines solchen.

Der Moderator, der das TV-Querformat optisch neu interpretiert, macht dies durch Wiener Charme wett. Allerdings sein Versuch, in Krefeld rheinisch zu sprechen, bescherte ihm ein lebenslanges Einreiseverbot.

Den Fluchtweg ins Dritte (BR) versperren "Die Mädels vom Immenhof".

Aber es gibt ja RTL.

Thomas Gottschalk, der in Erfüllung seines HARIBO-Vertrages, auch auf ausdrücklichen Publikumswunsch den Bildschirm nicht verlassen darf, quält sich durch ein Experiment für Hirntote: "Das Supertalent".

Seine selbst verschuldeten Nachbarn sind eine Frau Hunziker, die jeden Neandertaler wie einen Nobelpreisträger aussehen lässt (von ihr hätte ich gerne mal eine Haarprobe) und ein gewisser Dieter Bohlen, der von Soziologen und Psychiatern zunehmend mit Alkoholmissbrauch bei Jugendlichen in Verbindung gebracht wird.

Jetzt kämpft er gegen Gottschalk darum, in dieser Senioren-Variante von DSDS das letzte Wort zu haben. Dabei wäre jede Schweige-Minute sein großer Moment.

Und im ZDF?

Da wird kommissarisch gemordet.

Aber obwohl ARD und RTL Opfer-Vorschläge in Serie anbieten, trifft es immer Unschuldige. Kein Wunder, dass die Kommissare geschlagene 90 Minuten für die Aufklärung benötigen.

Wann kommt es endlich zur innerdeutschen Eurovision?

"Der Alte" setzt den "Mutanten-Stadl" auf dem "Immenhof" unter Quarantäne, verhaftet "Das Supertalent" wegen Talentlosigkeit der Jury und verurteilt SAT1, statt drittklassiger Filme ein Fernsehprogramm zu senden.

Wenn wir demnächst alle nicht mehr den Fernseher einschalten, geht der Wunsch ganz schnell in Erfüllung.

© Achim Krausz


07 08 2012   "Menschen bei Maischberger"

Am Dienstag war es wieder soweit.

Sandra Maischberger steuerte ein weiteres Puzzle zur Helmut-Schmidt-Legende bei.

Knapp eine Stunde - die Werbeeinblendungen für den im Hintergrund aufmerksamkeitsstark dekorierten SPIEGEL mitgerechnet - durften wir dem Weisen aus Hamburg-Langenhorn beim Atmen, Rauchen und Husten zuhören. Frau M. enthielt sich dabei unter Aufbietung aller ihrer Kräfte , dem Altkanzler auf den Rücken zu klopfen. Vermutlich fürchtete sie eine Schadenersatzklage des Hauses der deutschen Geschichte in Bonn.

Der Inhalt des Gesprächs ist schnell zusammen gefasst: Sandra Maischberger ist in der SPD, Helmut Schmidt nicht. So wirkte es jedenfalls.

Dennoch war es lehrreich, denn zum Glück besteht seine 'Strategie' darin, nie etwas aufgrund nachgewachsener Erkenntnis zu widerrufen, was er früher - beweisbar - behauptet hat. Zum Glück des Peer Steinbrück - denn der kann Kanzler - laut Schmidt. Obwohl den Zuhörer das Gefühl beschlich, die nordische Pythia bereut bereits die passionierte Prognose.

Man wird sehen, wer von den Drei von der SPD - Sigmar, Peer, Detlev - das Regierungsschiff entern wird. Vielleicht als Junior-Partner der Piraten?

Helmut Schmidt, der hier sträflich lange nicht erwähnt wurde, macht es in eigener Sache geschickter. Statt ständig "Ich" zu sagen, benutzt er den Begriff "Tatkraft".

Damit meint er sich selbst. Es erinnert an die Sturmflut in Hamburg von 1962. Damals hat Helmut Schmidt die Sturmglocke geläutet, und die Hamburger davor gewarnt, dass jetzt Hochwasser auf sie zukäme, woran die SPD nicht schuld sei. Seitdem hat Helmut Schmidt Oberwasser.

Auf jeden Fall bei der Gastgeberin, die wie Heidi dem Qualm-Öhi zu Füßen saß und andächtig lauschte.

Es mag ja Denkmals-Schändung sein - aber man hörte von Schmidt nur Angelesenes - keine eigenen Gedanken. Damit reiht sich der Altkanzler in die Gruppe der von ihm kritisierten planlosen Politiker in Europa ein.

Die von ihm stark thematisierte Unterscheidung zwischen Eurokrise und Schuldenkrise ist läppisch.

Zum einen ist Eurokrise dem medienimmanenten Drang zur Dramatisierung geschuldet, zum anderen weichen übermäßige Staatsschulden jede Währung auf.

Steht am Ende einer Währungsreform?

Dann käme der NEURO! Kurzform für: Neuroleptikum. Das ist ein Antipsychotikum, das Politiker und Banker ruhig stellt.

Dass die Staatsverschuldung nicht mehr abgebaut werden kann, hat Schmidt zwischen zwei Lungenzügen exhaliert. Hoffentlich hat auch Sigmar Gabriel zugeschaut.

Der "Weltökonom", von Schröders Gnaden, verwechselt gerne geringere Neuverschuldung mit Schuldenabbau (s. Glosse vom 22.07.12).

Aber wir wissen ja: Peer Steinbrück kann Kanzler.

Abschließend lässt sich festhalten, dass die Sendung vom 7. August 2012, mit drei SPIEGEL-ONLINE-Artikeln an einem Tag,  ein voller Erfolg für alle Beteiligten war: Für Sandra Maischberger, die eine Woche zuvor vom SPIEGEL als ESO-Gans umschrieben wurde, war es der Durchbruch im Bereich der Denkmalspflege.

Zwar konnte sie Schmidt nicht ganz auf das SPD-Parteiprogramm einschwören - Schmidt hat inzwischen verwirrend viele Artikel gelesen, um sich noch an Godesberg zu erinnern. Aber dafür schafft sie sicherlich eine lobende Erwähnung in BUNTE und GALA, indem sie intensiv nach Schmidts neuer Flamme Ruth Loah fragte.

Alle Zuschauer waren von Herzen froh, dass Frau Maischberger nicht erkunden wollte, ob die beiden demnächst heiraten müssen!

Offen bleibt die Frage, was treibt einen 93-jährigen dazu - der permanent vom halben Eppendorfer Klinikum begleitet wird - eine von ihm getrennt lebende, 80-jährige Freundin als Lebensgefährtin auszugeben? Wäre es nicht Helmut Schmidt, man könnte glatt von Rampengeilheit sprechen. Überhaupt ist rätselhaft, warum Schmidt den Mdienrummmel beklagt - etwa beim Tod von Loko Schmidt - und sich dann kirz nach dem Trauerfall zu Frau Maischberger ins TV-Studio setzt. Hat man Medien-Abstinenz früher nicht anders definiert?

Aber auch für Schmidt war der Abend ein Erfolg. 1,97 Millionen Somnambule fanden den Weg zum Fernseher. Dort warteten sie ebenso gespannt wie bei Roger Federer auf den nächsten Satz.

Warum Schmidt sich das antut, weiß niemand. Vielleicht ist er ein ganz klein wenig eitel?

© Achim Krausz


23 01 2012     "Gottschalk Live" - ARD 19:20 Uhr

Bei "Wetten, dass..?" hatte die Sendung nur ein Fragezeichen.

Bei "Gottschalk Live" sind es mehr.

Gottschalks Talent für Unterhaltung kann niemand in Frage stellen. Dass er um sein Leben reden kann wie ein Bibelverkäufer auf der Reeperbahn, ist allgemein anerkannt. Aber warum kauft die ARD den teuersten Entertainer und macht nichts daraus? Warum kauft der Sender keine professionelle Redaktiong? Warum macht sie aus der Langzeit-Plaudertasche einen Richard Kimble auf der Flucht - vor dem nächsten Werbeblock? Warum kennt bzw. praktiziert keiner das Mittel des cliffhanger? "Wetten, dass..?" lief jeweils bis der neue Tag anbrach, aber ein Mini-Format sollte minutiös konstruiert sein - und  minutiös ist hier das Schlüsselwort. Vielleicht hilft ein leicht-geschürztes Nummern-Girl, das die jeweilige Werbe-Runde ankündigt. Sicherlich ist der Zuschauer wie auch der Moderator dann nicht so überrascht, wenn Neues aus dem Inkontinenz-Sektor den Bildschirm füllt. Denn dass Gottschalk nur das Rahmen-Programm für die Werbung liefert, macht diese konzeptlose Show überdeutlich. Social Media und 1.600 Zuschriften im Netz können nicht das Ziel einer TV-Show sein. Eine achtjährige Australierin aus Brisbane hat mit ihrem Rock-Song, der an die Heimsuchung durch Schnappi das Krokodil erinnert, 14 Mio. Aufrufe bei YouTube.

Lieber Tommy, das ist noch ein langer Weg.

Die von Neugier gepeinigten 4,32 Mio. Gesamtzuschauer der ersten Sendung werden in den kommenden Sendungen naturgemäß um mehr als die Hälfte abschmelzen - selbst wenn die Eisbären im Berliner Zoo Junge werfen wie Labor-Ratten. Die Vorabend-Zeit bis 20 Uhr heißt nicht umsonst die "Todeszone". Dafür hat die ARD den besten, verfügbaren Moderator aufgeboten, jetzt fehlt nur noch die bessere Redaktion.

© Achim Krausz


17 01 2012  Fragen zum  Dschungelcamp

Das Fernsehen trainiert uns auf die Zeit nach der Griechenland-Rettung. Wenn wir die Griechen aus unentschuldbaren Gründen entschuldet haben, wird uns der Verzehr von Ungeziefer aus pekuniären Gründen als die Delikatesse erscheinen, die sie für RTL-Zuschauer bereits ist. Der Sender, bei dm McDonald's und Burger King besonders gerne werben, senkt erneut die Ekel-Schwelle. RTL featured in der sechsten Staffel seiner Dschungel-Show so genannte Prominente, die unerkannt durch die Fußgänger-Zone von Wanne-Eickel schlendern können. Wenn die Griechen wieder ganztägig Sirtaki tanzen, weil ihnen Standard & Poor's das Triple A zuerkannt hat, kämpfen Frankreich und Deutschland, aus Kostengründen gemeinsam geführt von Angela Merkel, um den Erhalt der C-Minus Bewertung. Und die Koch-Shows weisen in ihren Rezepten eine starke Tendenz zu Ratten, Ameisen und Fliegen auf (der kulinarischen RAF).

Doch denkt der Sender des Seichten wirklich so weit? Denkt RTL überhaupt? Und wenn ja, was? Spiegel-online, der im Dschungelcamp seine intellektuelle Heimat gefunden hat, berichtet zwar täglich, aber nicht erhellend (Original-Spiegel-Zitat: "Micaela Schäfer zeigt Nippel"). Was will uns das sagen? Antworten gibt der Nachbar - der Kölner WDR. Dort lief am 16. Januar der  "McDonald's-Check". Eine dieser entlarvenden Reportagen, mit denen Praktikanten Konzerne in die Knie zwingen. Nachdem festgehalten wurde, dass das Fleisch der Burger die höchste Qualitätsstufe und lediglich 20% Fettanteil hat, kam der Todesstoß für die Fast-Food-Kette: Der Geschmacks-Test. Ein paar vom Pflaster gepflückte Passanten durften nun Rating-Agentur für Papillen spielen. Dabei landete McDonald's, der es gegen den erbitterten Widerstand von Kindern und Geschmack-losen Erwachsenen auf über 1.400 Filialen in Deutschland gebracht hat, auf dem Hintern - von drei Plätzen. In einem Land, in dem der Döner erfunden wurde, und die Curry-Wurst als Delikatesse gilt, ist das eine Affenschande. Und als ob der Ekel keine Grenzen kennt, kam anschließend Frank Plasberg. Das Jauch'sche Quotenopfer brachte die misslungene Jauch-Sendung vom Sonntag noch einmal. Unbekannte Gutmenschen plapperten in Hirn-reduzierter Form über Fett-Reduktion. Gibt es dafür Geld aus Brüssel? Das wäre ekelhaft.

© Achim Krausz


"Wetten, dass...?" (03 12 2011)

Eine große, eine emotionale Sendung. Thomas Gottschalk wurde geehrt, wie es Otto von Habsburg erst posthum zuteil wurde. Zu Gottschalks Abschied kamen alle Großen nach Friedrichshafen - zumindest aus Sicht der Kreisstadt am See. Mode-Zar Karl Lagerfeld,  der an der Sendung so offensichtlich desinteressiert war, dass es wiederum viel Charme hatte. Aber warum jemand, der angeblich nur Haute Couture aber keine Konfektionshäuser kennt, auf dem TV-Rummel auftritt, bleibt sein süßes, kleines Geheimnis. Der Arme, nun hat er keinen Fächer mehr, kommt ohne Pagen und sieht aus wie ein Trucker, der im Lotto gewonnen hat. Hoffentlich behält er sein Geheimnis und wird nicht von seinen Kunden C&A, H&M und Breuninger vom Maß-Schneider zum Massen-Schnrider degradiert. Zum zehnten Mal kam das ewig junge TV-Schneewittchen Iris Berben, die irgendeinen Film verkaufen durfte. Und Till Schweiger, der Gott der Lippenleser, denn akustisch ist dieser Darsteller-Klon nicht zu verstehen. Nun wird er Kommissar im "Tatort"- dem ersten Krimi mit Untertiteln ("Schurke, ergib dich!" - O-Ton Schweiger: "Schorschi, schick' dich!").Ferner Basketball-Baron Dirk Nowitzki, der die Show mit einer Altkleider-Sammlung verwechselte. Aber wer durchschwitzte Turnhemden mag, wird schon seine Freude haben. Und Rate-Riese Günther Jauch, der amtierende Weltmeister im Kartenlesen. Er ist der Cleverste - wenn auch nicht in freier Rede. Für seinen Jahresrückblick holt er sich von den 14,7 Mio. ZDF-Zuschauern in der quotenbringende Weihnachtszeit noch weitere Millionen für RTL ab. Da verkündet er dann, dass er "Wetten, dass...?" nicht übernehmen wird. Eine herbe Enttäuschung für alle, die glauben, Entertainment käme vom Teleprompter. Kann dem ZDF-Intendanten jemand erklären, dass der Gebühren-finanzierte Sender nicht das Mutterschiff für Private ist? Auf RTL (Rammeln Lallen Töten - Karl Dall) lief zeitgleich das "Supertalent" mit dem Verbal-Fälisten Dieter Bohlen. Und das ist das Schlimmste an Gottschalks Abgang aus dem Show-Geschäft: er überlässt den Bildschirm den Zwergen.

© Achim Krausz


Am Samstag feierte sich das Buch - im Fernsehen. ("CORINE" - Erstausstrahlung 17.11. 3sat) Die Ironie ging nicht so weit, dass RTL den Quotenkiller zum Wiederholungspreis günstig kaufte. Das erledigte der BR. Denn hier findet man noch Zuschauer, die den Videotext nicht für eine Bildstörung halten. Den Abend moderierte Katrin Bauerfeind, die wir als atypisch intelligente Fernsehschaffende kennen. An diesem Abend verbarg sie jedoch ihren Intellekt sehr geschickt. Vermutlich wollte sie den Schnaps-Schüttler Charles Schumann als Laudator nicht in den Alkoholismus treiben. Die Laudatio des Männer-Models von der Stange bildete den Höhepunkt des Abends. Vom Blatt gelobt, wobei die spannendsten Momente beim Umblättern entstanden, wurden der Fotograf Tom Krausz (weder verwandt noch verschwägert) und Elke Heidenreich für einen Bildband über den walisischen Dichter Dylan Thomas. Dieser hat sich mit 39 zu Tode gesoffen - ähnlich wie Christian Grabbe, über den Heine schrieb, er habe sich nicht umgebracht, sondern sei durch Selbsttrunk gestorben. Barman Schumann versteht diese rezeptfreie Form der Lebensgestaltung nicht. Bei seinen Anmerkungen war das Publikum geschüttelt nicht gerührt.

Liebe CORINE-Macher, nicht jeder, der ein Rezept für Rühreier oder einen Martini aufgeschrieben hat, ist ein Schriftsteller. Werft nicht alle in einen Topf. Macht aus der bayerischen CORINE kein Leipziger Allerlei. Die Quote ist kein Quorum.

Nach den zahllosen Köchen, bei denen schon frenetisch applaudiert wird, wenn sie ein Schnitzel in der Pfanne wenden, kommen sonst die Mixer. Logisch in Zeiten, die nüchtern kaum ertragbar sind. Folglich wird das Zusammenschütten verschiedener Alkoholika zur Kunst erhoben. Und diese Dimple-Simpel haben inzwischen die gute alte (gerne auch jüngere) Barfrau verdrängt. Barfrauen kannten die Geheimnisse dieser Welt. Und sie wurde von Cocktail zu Cocktail verständnisvoller, weiser und schöner. Sie wussten, dass ein Martini nur aus Gin und Vermouth besteht und ein Mann nur aus Zielkonflikten. Die heutigen Promille-Techniker hinter dem Tresen kennen Koriander und Wacholder mit Vornamen, und können Spesenbelege ausstellen, die auch das Finanzamt in Timbuktu anerkennt. Aber Barfrauen - die wussten das Wesentliche. Sie haben das Wissen mit in die Seniorenstifte genommen, wo es jetzt gröhlicher zugeht als in angesagten Bars.

© Achim Krausz